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In Abwandlung eines alten Spruchs könnte man sagen: Wasser ist nicht alles, aber ohne Wasser ist alles nichts. Denn sicher ist: Der Wasser-Schatz, über den wir im Alpenraum verfügen, ist mit nichts aufzuwiegen. Und unser Umgang mit dem kostbaren Nass entscheidet über die Zukunft der Zivilisation.
Sonja Stummerer, Martin Hablesreiter,
17.07.2023
»Still oder prickelnd?« Diese Frage zieht uns regelmäßig den Nerv, mehr noch, sie deprimiert uns regelrecht! Warum will man uns im punkto Leitungswasserqualität nahezu flächendeckend paradiesischen deutschsprachigen Raum partout Flaschenwasser aufschwatzen? In allen drei Ländern bietet die Wasserleitung für gewöhnlich allerhöchste Qualität. Selbst in den Großstädten fließt beste Ware aus dem Hahn. Das Wiener Hochquellwasser ist legendär gut. Das ist ein unfassbarer Luxus und– wie wir selbst erfahren mussten – ziemlich einzigartig. In London atmeten wir mit jedem Glas Leitungswasser starken Chlorgeruch ein– angeblich wird in Großbritanniens Hauptstadt jeder Schluck Wasser sieben Mal getrunken. Dazwischen findet eine Aufbereitung statt, die merkbare olfaktorische und vielleicht auch unbemerkt weitere Spuren hinterlässt. In Tokio trugen wir ein Jahr lang jeden Tag zwei bis drei Liter Wasser aus dem Architekturbüro, in dem wir arbeiteten, nach Hause. Denn dort gab es einen Wasserfilter, der zumindest klinische Gerüche aus dem Leitungswasser entfernte.
Bei der Aufbereitung von Leitungswasser wird meist auf »chemische Methoden« gesetzt, also zum Beispiel auf den Einsatz von Chlor, um damit Bakterien abzutöten. Das ist eigentlich eine gute Idee, denn diese klitzekleinen Lebewesen können böse Krankheiten wie zum Beispiel die Cholera verursachen. Der 1843 geborene deutsche Arzt und Mikrobiologe Robert Koch entdeckte den tödlichen Zusammenhang zwischen verseuchtem Wasser und Infektionskrankheiten. Ihm verdanken wir unter anderem das Konzept der modernen Hygiene und unseren Respekt vor Bakterien.
»Gute« & »Böse« Bakterien
Aber wir Menschen tragen auch etwa drei Milliarden (oder zwei bis drei Kilo) Bakterien verschiedener Arten in unserem Magen-Darm-Trakt mit uns herum, die wir unbedingt brauchen. Jeder Mensch ist also Bakterien-Wirt – und das ist auch gut so, denn ohne diese winzigen Gäste in unserem Körper könnten wir nicht überleben. Sie helfen bei der Verdauung, sorgen für unsere physische und psychische Gesundheit und lösen bei schlechter Bewirtung Krankheiten aus– die Forschungen dazu haben gerade erst begonnen. Sicher ist aber bereits jetzt: Wir sollten unsere Magen-Darm-Gäste nicht vergraulen oder gar umbringen– aber genau das machen wir etwa, indem wir gechlortes Wasser trinken.

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Jedes Lebensmittel, jedes Produkt, das hergestellt wird, verbraucht Wasser, manche davon eine unfassbar große Menge. Man bezeichnet diese Daten als virtuellen Wasserverbrauch.
Wasser ist Menschenrecht
Aber Chlor im Trinkwasser hin oder her, der westlichen Welt steht ausreichend trinkbares Wasser zur Verfügung. Ganz anders sieht die Situation in der Dritten Welt aus. Laut Schätzungen der Vereinten Nationen haben mehr als zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser, Tendenz steigend. Bis zum Jahr 2040 werden darunter 600 Millionen Kinder sein. Jeder Schluck unsauberes Wasser kann Infektionskrankheiten oder andere Gesundheitsschäden verursachen. Verunreinigtes Wasser ist unter Umständen sogar tödlich. Immerhin: Im Jahr 2010 erklärte die UNO-Vollversammlung den Zugang zu sauberem Wasser zu einem Menschenrecht. Dem war allerdings ein jahrzehntelanges politisches Ringen vorausgegangen. Vor allem Abfüller von Flaschenwasser und private Wasserversorgungsunternehmen hatten vehement dagegen gearbeitet. Still oder prickelnd?
Der Klimawandel verschärft die weltweite Wasserkrise weiter. Hochwertiges Trinkwasser wird immer weniger. Dennoch übernehmen international tätige Abfüllunternehmen Wasserrechte in allen Teilen der Welt. Und das Geschäft läuft gut, denn Knappheit treibt die Preise hoch. Zunehmende Wasserkonkurrenz provoziert gleichzeitig rund um die Welt bewaffnete Konflikte, Flucht und Migration. Aber auch den wasserreichen Ländern rund um den Alpenkamm drohen Versorgungsengpässe. Ein Abschmelzen der Gletscher könnte aus den wasserspeichernden Gebirgen einfache Abflüsse machen. Die fruchtbaren und CO2-speichernden Hänge drohen auszuspülen und abzurutschen. Ein karger Steinhaufen anstelle einer biodiversen Kulturlandschaft würde Donau, Rhein oder Rhone aber kaum noch Zufluss liefern.

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Davon betroffen wäre auch die reiche Landwirtschaft Europas. Die Produktion von Essen erfordert bekanntlich sehr viel Wasser. Eine der ersten und wichtigsten Leistungen der Menschen war das Ersinnen, Konstruieren und Bauen von Bewässerungsanlagen. Das machte das Zweistromland zu einer Wiege der Zivilisation, die Verteilung der beiden großen Ströme Chinas auf riesige Agrarflächen ließ die erste und innovativste Hochkultur der Welt entstehen. Bis heute werden Seen und Flüsse auf Feldern verteilt, um Essen zu erzeugen. Der Nil oder der Colorado River erreichen ihre Mündungen nicht mehr, denn ihr Wasser wird vorher aufgebraucht. Bis zu 4.000Meter tief wird bereits gebohrt, um Wasserreservoirs mit viel fossiler Energie auf durstige Felder zu pumpen. Diese Lagerstätten haben aber keine Zuläufe– einmal leer, immer leer.
Übrigens: Ein Kilogramm Brot »enthält« etwa 1.300 Liter Wasser. Die Produktion von einem Kilo Rindfleisch erfordert mit zirka 15.000 Litern Wasser mehr als das Zehnfache. Man spricht bei solchen Berechnungen von virtuellem Wasserverbrauch. In Österreich, Deutschland und der Schweiz liegt der tägliche Wasserverbrauch pro Person um die oder knapp über 4.000 Litern. Wasser ist lebensnotwendig und wunderschön. Wasser ist ein Menschenrecht und es schmeckt fantastisch. Wasser ist wahrer Luxus. Und eine sichere Versorgung, wie wir sie in unseren Breiten haben, ist ein unschätzbar wertvolles Geschenk. Das sollten wir uns regelmäßig vor Augen führen, wenn wir den Wasserhahn aufdrehen.
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Honey & Bunny
Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie sich für Food-Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren »Eat-Art-Performances« und schreiben bzw. illustrieren Bücher.
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